Inspiriert von dem Deutschen Märchen- und Wesersagenmuseum in Bad Oeynhausen habe ich meinen Schülern auf freiwilliger Basis eine etwas andere Aufgabe für den Distanzunterricht gestellt, denn Märchen berichten nicht nur über vergangene Tage, sondern können auch ganz aktuell und an die jetzigen Umstände angepasst werden.
Die Schülerinnen und Schüler hatten die Gelegenheit, ihre Ansichten, Ängste, Hoffnungen und auch Wahrnehmungen der aktuellen Lage in ein Märchen zu verpacken. Der Kreativität waren hier keine Grenzen gesetzt.
Katharina Randewig
Aschenputtel zu Corona-Zeiten
Es war einmal ein Mädchen, dessen Mutter gestorben war. So heiratete ihr Vater eine neue Frau mit zwei weiteren Töchtern. Als der Vater während der Quarantänezeit wegen Corona zur Arbeit ging, sagte die Stiefmutter, dass das Mädchen Lumpen anziehen, im Haus die ganzen Arbeiten verrichten und in der Asche schlafen sollte. So nannte sie sie Aschenputtel. Als der Vater wiederkam, freuten sich die beiden Stieftöchter über Klopapier und Seife. Als der nächste Tag begonnen hatte, ging der Vater wieder zur Arbeit. Dieses Mal fragte er: „Was soll ich für euch mitbringen, wenn ich noch mal kurz zu LIDL gehe?“ „Bring für mich Desinfektionsmittel mit“, antwortete die eine Stieftochter gierig. „Und für mich ein Kleid für den königlichen Ball im Palast“ , sagte die andere Stieftochter. „Für welchen Ball?“, fragte die Stiefmutter. „Der angekündigte Ball, der draußen auf dem Plakat steht und drei Tage geht.“ Der Vater erwiderte: „Okay, und was willst du, mein Aschenputtel?“ Die Tochter überlegte und antwortete: „Für mich sollst du bitte ein kleines Bäumchen mitbringen.“
Am späten Abend kam der Vater wieder und brachte wie versprochen Desinfektionsmittel, zwei Kleider für den Ball und ein kleines Bäumchen mit. Aschenputtel bedankte sich, lief mit dem Bäumchen nach draußen und pflanzte es auf das Grab ihrer verstorbenen Mutter. Als der nächste Morgen begonnen hatte, sagte die Stiefmutter: „Aschenputtel, ziehe meine bezaubernden Töchter für den Ball an. Hop hop, wird´s bald.“ Aschenputtel entgegnete ängstlich: „Ja, ja, Mutter!“
Nach vier Stunden Kleideranprobe und ein paar Nickerchen später war es endlich so weit. „Aschenputtel, wir gehen jetzt auf den Ball und du bleibst hier!“, sagte die Mutter. „Aber wieso Mutter?“, rief Aschenputtel traurig. „Damit du hier ein bisschen aufräumen kannst, z.B. diese Linsen.“ Sie schüttete eine Schale voll mit Linsen aus und sagte, dass die guten Linsen ins Töpfchen müssen und die schlechten ins Kröpfchen. Da weinte Aschenputtel und war ahnungslos. Aber als die Stiefmutter mit den Stieftöchtern zum Ball gefahren war, kam Aschenputtel ein Gedanke: Sie hatte ja die Tauben als Freunde, also rief sie diese herbei und sagte, welche Linsen wie sortiert werden müssten. Die Tauben machten die Arbeit und Aschenputtel bedankte sich bei ihnen, rannte nach draußen und rief zum Bäumchen: „Bäumchen rüttel dich und schüttel dich und wirf Maske und Klopapier über mich.“ Schon war Aschenputtel gehüllt in eine Maske und ein wunderschönes weißes Kleid. So ritt sie, nachdem sie sich desinfiziert hatte, auf einem Pferd zum Ball. Als sie dort ankam, sah sie nach kurzer Zeit die Stiefmutter mit ihren Stieftöchtern. Da setzte sie sich schon ihre Maske auf und versuchte immer 1,50 Meter Abstand zu den anderen Gästen einzuhalten. Nach fünf Minuten sprach der Prinz sie von hinten und aus ausreichender Entfernung an. „Wollen wir tanzen?“ Aschenputtel antwortete: „Aber ohne uns zu berühren!“
So komisch, wie es auch aussah, tanzten die beiden, ohne sich zu berühren. Die Stiefmutter beobachtete Aschenputtel, wie sie mit dem Prinzen tanzte, aber sie erkannte sie nicht. „Mutter, dieses Mädchen kommt mir bekannt vor!“, flüsterte Tochter Nummer 1 ihrer Mutter ins Ohr. Als es fast Mitternacht war, rannte Aschenputtel nach Hause, ohne etwas zu sagen, weil ihr das Bäumchen zugeflüstert hatte, dass das Kleid und die Maske sich um zwölf Uhr auflösten. Der Prinz rannte ihr hinterher, aber Aschenputtel war schon lange über alle Berge verschwunden. Als der Ball vorbei war, kamen die Stiefmutter und die Stiefschwestern nach Hause und sahen, wie Aschenputtel vor dem Kamin in der Asche lag und schlief.
Am nächsten Abend schüttete die Mutter die sortierten Linsen wieder aus und ging. Wieder rief Aschenputtel ihre Freunde, die Tauben, und rannte zum Bäumchen und rief: „Bäumchen rüttel dich und schüttel sich, wirf Masken und Klopapier über mich!“ Schon ritt Aschenputtel wieder zum Ball und tanzte erneut mit dem Prinzen. Wieder fiel der Stiefschwester auf, dass ihr das Mädchen bekannt vorkam und erkannte nach einer Weile die Ähnlichkeit zu Aschenputtel, doch das konnte doch gar nicht sein, denn Aschenputtel hatte gar keine schönen Kleider und schon gar nicht so ein prachtvolles wie dieses Mädchen oder?!
Als es wieder fast Mitternacht war, rannte Aschenputtel nach Hause. Um halb zwei kam dann auch der Rest der Familie und sie sahen noch einmal, wie Aschenputtel vor dem Kamin in der Asche lag. Was Aschenputtel nicht wusste, war, dass der Prinz Teer auf die Treppe geschmiert hatte, sodass, wenn sie am darauffolgenden Tag noch einmal über die Treppe gehen sollte, ihr Schuh stehen blieb.
Am dritten Abend, als das Klopapier wieder alle war, gingen die Frauen des Hauses, außer Aschenputtel, zum dritten Teil des Balles des Prinzen. Als die Tauben Aschenputtel wieder halfen, rannte sie noch ein drittes Mal zum Bäumchen und sagte: „Bäumchen rüttel dich und schüttel dich und wirf doppelseitiges Klopapier und eine Maske über mich!“ Schon wieder war Aschenputtel ein wunderschönes Mädchen und ging ein letztes Mal zu dem Ball und tanzte mit dem Prinzen.
Erneut kurz vor Mitternacht rannte sie nach draußen über die Treppe, aber dieses Mal verlor sie einen Schuh. Sie versuchte noch, ihn aus der Pampe wieder herauszuziehen, aber als sie sah, dass der Prinz kam, rannte sie schnell weg, ohne Schuh.
Am nächsten Morgen kam der Prinz mit einem kleinen Schuh ins Dorf geritten. Er sagte, dass alle Frauen den Schuh anprobieren sollten und die Frau, die in den Schuh passen würde, würde er heiraten. Alle Frauen zogen den Schuh an, sogar die beiden Stiefschwestern, doch kein Fuß passte hinein. Die Füße der Schwestern waren so groß, dass Blut aus dem Schuh herauslief. Als der Prinz schon aufgeben wollte, erblickte er, auf einer Mauer sitzend, eine Taube, die eine Maske im Schnabel trug. Sie sagte: „Gurgelegu, gurgelegu, Blut ist im Schuh. Der Schuh ist zu klein, die rechte Braut ist noch daheim!“ Da sagte der Prinz: „Waren das wirklich alle jungen Frauen, die im Dorf leben?“ Da entgegnete Aschenputtels Vater: „Ja, außer dem Aschenputtel haben wir keine Tochter mehr, aber sie war nicht auf dem Ball!“ Der Prinz forderte trotzdem: „Ich möchte, dass sie den Schuh anzieht.“ Schon hatte der Vater das Aschenputtel aus dem Haus geholt. Sie zog den Schuh an und wer hätte es gedacht, der Schuh passte.
Der Prinz und Aschenputtel heirateten und lebten in Ruhe und Geborgenheit. Und wenn sie nicht gestorben sind, so desinfizieren sie sich noch heute.
Thorge Störch, 7c Marone